Pünktlich zum großen Humboldt Jubiläum 2019 hat der Prestel Verlag eine Neuauflage des Buches „Alexander von Humboldt und die botanische Erforschung Amerikas“ herausgebracht. Sie macht dem Leser 82 rare Pflanzenillustrationen zugänglich, im Druck exquisit widergegeben. Nur schöne Bilder? Dahinter steckt eine außerordentliche Geschichte, die der Autor des Buches, Walter Lack, der ehemalige Direktor des Botanischen Gartens in Berlin-Dahlem, erzählt.
Man kann die feinen schwarzlinigen oder kolorierten Kupferstiche zu den besten ihrer Zeit zählen. Sie sind Teil eines monumentalen Werks über die Pflanzen Amerikas, das der universelle Forscher und Wissenschaftler Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von Humboldt (1769 – 1859) plante und ab 1805 in Paris herausgab. Er engagierte dafür die vorrangigsten Kupferstecher von Paris und brauchte für die Fertigstellung, die sich über 30 Jahre hinzog, sein gesamtes Vemögen auf, zusätzlich zu Geldern aus Subskriptionen und von privaten Unterstützern. Von den 19 Bänden gibt es bis heute keine deutsche Übersetzung, lediglich die französische Originalausgabe. Die komplette Ausgabe besitzen nur wenige Bibliotheken.
Die Reise nach Amerika
Den Illustratoren lagen die Pflanzen nurmehr in getrocknetem Zustand vor. Zu dem Zeitpunkt hatten die grünen Schätze bereits einen weiten Weg hinter sich, von Amerika nach Europa. Denn alles begann mit der berühmten Reise Humboldts.
Von 1799 bis 1804 ist er in den heutigen Ländern Venezuela, Kuba, Kolumbien, Ecquador, Peru, Mexiko und im Osten Nordamerikas unterwegs. Humboldt reist nicht allein, er wird auf seiner Expedition von dem vier Jahre jüngeren Franzosen Aimé Bonpland begleitet, der vorher als Chirurg (damals ein weit gespannter Begiff) arbeitete. Große Dinge beginnen manchmal mit einem kleinen Zufall. Die beiden wurden im Hausflur in Paris miteinander bekannt, weil Bonpland des öfteren mit einer Botanisiertrommel¹) anzutreffen war. Bonpland ist es, der während der Expedition ein botanisches „Feldbuch“²) führt, über alle Pflanzen, die er einsammelt, trocknet, nummeriert und bescheibt. Insgesamt sind in Bonplands „Journal botanique“ 4.528 Nummern für Pflanzen vergeben. Humboldts Interesse gilt während der Reise vorrangig dem wissenschaftlichen Novum der Pflanzengeographie, doch er legt etwa 400 Aquarelle von Pflanzen an, die sich nicht erhalten haben.
Die Vermessung der Welt
Der Kontinent war damals zwar schon entdeckt, aber weitgehend unerforscht. Erst seit 1735 gestattete der spanische König Ausländern, dass man seine Kolonien in Übersee für Forschungszwecke bereisen durfte. Danach hatte bereits Johann Gottfried von Herder zu der Erforschung der Anden und des Amazonasbeckens aufgerufen, in dem die Höhen der Berge, die Bodenbeschaffenheit und die Temperaturen der Gebiete erfasst werden sollten. Genau das macht Humboldt nun.
Jenseits des kolonialen Blicks
Er ist mit 50 Meßgeräten ausgestattet und einem von den Eltern ererbten großen Vermögen, das es ihm ermöglicht, die Expedition gänzlich aus der Privatschatulle zu bezahlen. Das verschafft ihm eine Freiheit, die für damals außergewöhnlich ist. So wurde der Pflanzensammler Archibald Menzies 1791 in England für seine Expedition an die amerikanische Nordwestküste angewiesen „Wenn ihr auf sonderbare oder wertvolle Pflanzen trefft … habt Ihr sie ausnahmslos als Eigentum seiner Majestät zu betrachten und dürft von keiner der Pflanzen einen Steckling oder sonst ein Stück abnehmen, sofern es nicht zum Nutzen seiner Majestät ist.“ ³)
Der koloniale Blick auf die Pflanzen dieser Erde hatte ihren Wert bereits verändert. Pflanzen waren nicht mehr Ausdruck göttlicher Schöpfung, sondern ein Mittel, Handelsmacht und Kapital zu gewinnen⁴). Überdies waren exotische Pflanzenraritäten aus weit entfernten Ländern begehrte und wertvolle Sammlerstücke, seit man sie in Gewächshäusern aus Glas halten konnte. Manche Pflanzensammler schwiegen deshalb eisern über ihre Fundorte.
Internationale Zusammenarbeit vor 250 Jahren
Humboldt wollte etwas anderes und erst in unserer Gegenwart können wir das einordnen. Schon während der Expedition verdarben etwa 1/3 der gesammelten Pflanzen, der „unermesslichen Nässe“ des Kontinents und seiner Insekten geschuldet. Deshalb begann er frühzeitig, die Sammlung aufzuteilen und dann nach Europa zu verschiffen, zur Sicherheit an mehrere Orte: einen Teil nach England, einen Teil nach Spanien, einen Teil nach Paris und einen Teil nach Berlin, jeweils zu den wichtigsten botanischen Institutionen, denen er die einmalige und kostbare Fracht zur Vefügung stellte. Man nimmt diese Geste mit Staunen zur Kenntnis. Die gesammelten Herbarien sollten offenbar auf einer internationalen Ebene zugänglich gemacht und wissenschaftlich ausgewertet werden. Im Denken war er damit seiner Zeit um Jahrhunderte voraus.
Big Data vor 250 Jahren
Alexander von Humboldt stellte sich ein weit umspannendes – heute würden wir sagen globales – System vor, eine „physique du monde“, die das gesamte physisch-geografische Wissen seiner Zeit vernetzen sollte. Erst seit etwa 20 Jahren sind wir in der Lage, das tatsächlich zu realisieren, mit dem Aufbau internationaler Datenbanken, die riesige Mengen an Texten und Bildern speichern. Das Projekt, das Humboldt nach seiner Rückkehr aus Amerika anstieß, kann man aber durchaus als einen ersten Anfang davon sehen. Die über 4.000 Pflanzen, die auf der Expedition eingesammelt worden waren, sollten in einer Buchreihe nach Arten geordnet, beschrieben und in Illustrationen abgebildet werden. Signifikant ist auch, dass er sein Projekt nicht von Berlin aus realisiert, sondern in Paris, über alle politischen Krisen zwischen Preußen und Frankreich hinweg. Weil Paris damals eben das Zentrum der Wissenschaften war.
Team-Bildung vor 250 Jahren
Humboldt schafft es, für diesen Vorläufer einer intenationalen Wissens-Datenbank immer wieder andere in sein Projekt einzubinden. Nachdem Bonpland beginnt, für die französische Kaiserin Josephine an den Gärten von Malmaison zu arbeiten, gewinnt er den botanischen Autodidakten Carol. Sigismund. Kunth, der an den Pariser Ausgaben einen entscheidenden Anteil haben sollte. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, Kartografen, Verleger, Illustratoren, Schriftkünstler – die Namen änden sich, das Ziel bleibt. H. Walter Lack trägt dem Rechnung, in dem er in seinem Buch den wechselnden Teams folgt und die Kapitel danach aufteilt. Das schafft eine neue Perspektive auf Humboldts Werk, das sich im Gegensatz zur bisherigen Geschichtsschreibung eben nicht auf einen einzelnen Helden gründet.
Das Große und das Gute
Was war der Antrieb für Alexander von Humboldt, über Jahrzehnte ein derartig erschöpfendes Projekt zu verfolgen? „Der Mensch muss das Große und Gute wollen. Das übrige hängt vom Schicksal ab.“ ⁵) schreibt Humboldt 1799 im Hafen von La Coruña, Spanien. Da ist er 30 Jahre alt und steht vor seiner Abreise nach Amerika.
Was bedeutete wohl das Große und Gute für ihn? Wir schließen das schöne Buch, das für jeden Pflanzenliebhaber eine Freude ist, und kommen zu dem Schluss: Das Glück und das Abenteuer, Erkenntnis zu gewinnen und sie der Welt zu schenken.
Alexander von Humboldt und die botanische Erforschung Amerikas
Autor/en: H. Walter Lack, Hans W. Lack
ISBN: 3791384147
EAN: 9783791384146
142 farbige Abbildungen.
Mit 82 Farbtafeln.
Prestel Verlag
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Anlässlich des 250. Geburtstags Alexander von Humboldts präsentiert ein Verbund von dreizehn Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen eine eigene Plattform. Sie informiert auf Deutsch und Englisch über alle Ausstellungen, wissenschaftliche Tagungen und Veranstaltungen der beteiligten Institutionen rund um Alexander von Humboldt im Jahr 2019.
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1) Botanisiertrommel: Abgeleitet von dem Wort „botanisieren“ = sammeln von Pflanzen. Ein länglicher Behälter, der meist an einem Riemen über der Schulter getragen wurde, um in der freien Natur Pflanzen einzusammeln.
2) Alles was Wissenschaftler außerhalb ihrer Labore praktisch untersuchen und erforschen wird als „Feldforschung“ bezeichnet, deshalb ist Bonplands Buch auch ein „Feldbuch“.
3) Zitat aus „Pflanzenschätze“ Carolyn Fry, 2010, S. 23
4) Bereits 1770 hatte Pierre Poivre die Idee, Muskatnuss- und Gewürznelkenbäume von den Molukken zu der französischen Kolonie Ile de France (heute Mauritius) zu transferieren und dort in einem günstigen Klima anzubauen. Die Grande Nation kam damit an die luxuriös teuren Gewürze und durchbrach das niederländische Handelsmonopol. Das hatte Signalwirkung für alle Kolonialmächte.
5) Zitat aus H. Walter Lack, „Alexander von Humboldt und die botanische Erforschung Amerikas“, S. 17
Abbildungen:
© Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem
Tafel 5: Meriania speciosa – Farbpunktstich von L. Boucquet nach P.J.F. Turpin
Tafel 27: Polybotrya osmundacea – Kolorierter Kupferstich von P.J.F. Turpin
Tafel 28: Anthurium pedatum – Kolorierter Kupferstich von P.J.F. Turpin
Tafel 31: Porphyrostachys pilifera – Kolorierter Kupferstich von P.J.F. Turpin
Tafel 45: Inga spectabilis – Farbpunktstich von Joyeau nach P.J.F. Turpin
Tafel 51: Hypochaeris sonchoides – Kolorierter Kupferstich von P.J.F. Turpin
Tafel 57: Werneria disticha – Kolorierter Kupferstich von P.J.F. Turpin
Tafel 66: Hibiscus striatus Cav. subsp. Lambertianus – Kolorierter Kupferstich von P.J.F. Turpin