Photo: Deutsches Museum
Sieben Jahre dauerten die Vorbereitungen dieser Ausstellung zwischen dem Deutschen Museum und dem Rachel Carson Center in München. Das Ergebnis hat es in sich.
Ganze 4 Milliarden und etwa 567 Millionen Jahre ist unser Planet alt. Der Mensch im Vergleich dazu ein, pardon, Vogelschiss im Wind mit einer Existenzerwartung als Spezies von vielleicht einer Million Jahre. Doch schon jetzt haben wir 3/4 des Erdbodens umgestaltet, den größten Teil der Tiere vom Planeten verdrängt. Und apropos Vogelschiss, weltweit ist jede siebte Vogelart in ihrem Bestand bedroht. Die Folgen unseres Handelns sind lang. Allein um den Anstieg an CO² seit der industriellen Revolution wieder zu senken, würden wir 100.000 Jahre brauchen.
In Anbetracht der ungeheuren Veränderungen, die die extrem kurze Anwesenheit des Menschen auf dem Planeten Erde bisher mit sich bringt, schlagen deshalb Wissenschaftler wie der Nobelpreisträger Paul J. Crutzen vor, ein neues Zeitalter auszurufen, das Zeitalter des Menschen, das „Anthropozän“.
Zeitalter mit Eigenschaften
Die Umbenennung kommt ganz schön plötzlich, denn gerade noch waren wir erdgeschichtlich im Holozän. Aber den Wissenschaftlern geht es darum, ein Warnsignal zu setzen, die beunruhigende Dimension der menschlichen Eingriffe bewusst zu machen. „Vor 200 Jahren mochte der Mensch sich noch vor der Gewalt der Natur gefürchtet haben. Heute wissen wir, dass die Gewalt des Menschen gegenüber der Natur fürchterlich ist.“ heißt es in dem Geleitwort zur Ausstellung, die uns mitten hinein führt in die gegenwärtige Entwicklung des Anthropozäns, von der rasanten Mobilität über wachsende Verbindungen zwischen Menschen und Maschinen bis zu einer menschgemachten Natur.
Zu dem Ist-Zustand gehört zum Beispiel, dass sich die Städte global zu einem eigenen Ökosystem entwickeln. Eine Form von Urbanität, die sich nurmehr bedingt planen lässt. Die Ghettos der Wellblechhütten der Armen rund um Megacities entstehen und wachsen spontan, genauso wie die Ideenzentren kreativer Stadtbewohner. Deshalb sind offene städtebauliche Systeme gefordert, die auf ungewisse und überraschende Entwicklungen unmittelbar reagieren können.
Das ist auch das Credo der Ausstellung. Das junge Anthropozän ist noch nicht endgültig festgeschrieben. Es wird noch etliche Ungewissheiten und Überraschungen mit sich bringen. Deshalb kommt es vor allem auf eines an, unsere Reaktionsfähigkeit. Wie schnell, flexibel und kreativ reagieren wir auf Entwicklungen und Probleme?
Nach den Siegesmeldungen ein anderer Ton
Das Deutsche Museum ist dafür ein bemerkenswerter Ort. Hier raucht, dampft und zischt es von bahnbrechenden Experimenten der Naturwissenschaften und der Technik. Generationen von Schulklassen wurden in den Räumen technische Neuerungen wie etwa die Dampfmaschine oder der Automotor vorgeführt. Erfindungen wie diese waren immer Siegesmeldungen.
Inmitten der Sammlung von Objekten unserer Begeisterung für Fortschritt und Technik lässt ein anderer Grundton aufhorchen. Die interdisziplinären Diskussionen um das Anthropozän zeigen, dass sich die Wissenschaften selbst verändern. Diese Diskussion wird nicht von Errungenschaften bestimmt, sondern von Werten aus einer Zeit vor dem Siegeszug: Verantwortung, Fürsorge. Für eine Welt, von der wir bisher im All kein Duplikat gefunden haben.
Die Sedimentschicht des Anthropozäns
Dieser ethische Denkansatz macht die Ausstellung in vieler Hinsicht spannend und kann im Besucher nachwirken. Denn wer auch immer in Millionen von Jahren in unserer Erde herum gräbt, wird auf eine Sedimentschicht stoßen, die unzweifelhaft beweist, dass es uns gegeben hat: Plastik, Beton, Aluminium, Spuren atomarer Strahlung, werden vom Zeitalter des Anthropozän zeugen. Wird es auch einen Nachweis davon geben, dass wir die moralische Befähigung hatten, schwierige Überlebensprobleme zu lösen?
Bis 31. Januar 2016
Deutsches Museum
Museumsinsel 1, 80538 München
täglich von 9 – 17 Uhr
http://www.deutsches-museum.de
http://www.carsoncenter.uni-muenchen.de
Auf Youtube ist ein Trailer für die Ausstellung zu sehen -> Mehr
Einen Rundgang durch die Ausstellung gibt es virtuell -> unter
Unbedingt empfehlenswert ist der Katalog „Willkommen im Anthropozän. Unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde.“ 203 Seiten mit Essays u. a. von dem Geologen Jan Zalasiewicz und einem Interview mit Paul J. Crutzen.
Deutscher Museum Verlag, 2015