Viel Überzeugungsarbeit von Seiten der Wasserwirtschaftsverwaltung musste geleistet werden, um den Bürgern und auch Politkern die Errichtung eines Speichersees nahe zu bringen, mit dessen Bau hohe Kosten verbundenen waren. Bis nach München sollte der Stausee Garant für einen konstanteren Wasserspiegel bei Hochwasser oder Trockenheit sein.
An der engsten Stelle der Faller Klamm beim Hennenköpfl wurde schließlich 1954 mit dem Bau des Sylvensteinspeichers begonnen. 1959 war er als eines der größten wasserwirtschaftlichen Projekte in Oberbayern fertiggestellt. 50.000 Kubikmeter Fels mussten gesprengt werden, damit der 5,5 qkm große See mit einem Stauraum von 105 Millionen Kubikmetern Wasser entstehen konnte.
Das Ende für die Transportflößerei
Das Aufstauen der Isar und zwei ihrer Zuflüsse (Dürrach und Walchen) brachte gleichzeitig die Transportflößerei für die weiter flussabwärts liegenden Orte zum Erliegen. Der Wasserstand reichte für das Flößereigewerbe nicht mehr aus. Im Jahr 1953 ging das letzte Floß von Fall ab. Bei normalem Wasserstand ist der Sylvensteinsee 40 Meter tief. Bei Hochwasser kann es eine Tiefe von 200 Meter bis zum Fundament des Staudamms sein. Des Weiteren sollte am Fuße des Stauwehrs ein in den Fels gesprengtes Kavernen-Kraftwerk entstehen, das aus der abfließenden Wassermenge elektrische Energie erzeugt, mit einem jährlichen Mittelwert von etwa 16 Millionen kWh. – Schon im Juni 1959 konnte der Sylvensteinspeicher seine erste Bewährungsprobe beim katastrophalen Hochwasser bestehen und 40 Millionen Kubikmeter Wasser zurückhalten. Die ersten Nachrüstungen begannen 1983/84 mit der Erweiterung des Mess- und Kontrollsystems. Ab 1994 erhielt derSylvensteinspeicher eine zusätzliche Hochwasserentlastungsanlage, ab 1997 folgte eine Dammerhöhung. Ein zweites Wasserkraftwerk wurde 1998 bis 2000 errichtet. Als 2015 der See entleert werden musste, um die Technik der beiden Wasserkraftwerke zu erneuern, zeigten sich amTalboden die Grundmauerreste des überfluteten Dorfes Fall.
Über den fjordartig gestalteten Sylvensteinstausee führt zwischen Damm und Neufall die fast 400 m Meter lange moderne Faller-Klamm-Brücke, eine elegant geschwungene Autobrücke auf Hochpfeilern. 2022 ist eine Instandsetzung der sieben 20 Meter hohen Pfeiler erforderlich, da sie durch Tausalzwasser in ihrer Bausubstanz angegriffen sind.
Der Untergang von Alt-Fall
Mit dem Entschluss des Freistaates Bayern den Stausee anzulegen, war auch der Untergang des alten Jägerdorfes Fall mit damals 140 Einwohnern besiegelt. Ersatzweise sollte der neue Ort Fall als kleine Waldsiedlung für 200 Personen auf der nahen Anhöhe des Dürrach-Kegels entstehen. Die Reaktion bei den Bewohnern war zuerst ablehnend. In den 1950er Jahren war das Land noch geprägt von Wohnungsnot. Außerdem hieß es, nur aktive Leute, die beim Zoll, bei der Grenzpolizei oder beim Forst tätig sind, kommen ins neue Fall. Vor allem die alten Menschen fragten sich, wohin mit mir. Der damalige Forstmeister von Fall, Anton Böhm, berichtete dies in einem Zeitungsinterview von 1996.
Spätestens im Winter 1958/59 sollte das ganze Dorf geräumt sein, um die zwanzig Häuser von Amts wegen abzutragen oder einzureißen: Den Kramerladen, das Wirtshaus Faller Hof, in dem Flößer,Holzfäller und Förster Stammgäste waren. Die Schule, das um 1740 erbaute Kirchlein mit Pfarrhof, die bäuerlichen Anwesen, darunter der schon 1460 urkundlich erwähnte Rieschenhof, das Jäger-Häusl, welches Ludwig Ganghofer in seinem Roman „Der Jäger von Fall“ beschrieb. Das beliebte Jagdrevier gefiel auch dem bayerischen König Maximilian II., der sich in der Gegend eine königliche Jagdhütte errichten ließ. Hirsche und Gämsen schossen auch die verwegenen Wilderer. In der Nacht schmuggelten sie die geschwärzte Ware auf dem Floß isarabwärts. Die Jahre von 1923-25 hielt die Heimatschriftstellerin Frieda Runge in ihrem Werk „Brautfahrt ins Jägerdorf“ fest, als junge Frau des Faller Försters Adolf Runge.
Der Aufstau des Sylvensteinspeichers und die Überflutung des Dorfes sollte in drei Stufen bis zur Höhe von 756,20 Meter erfolgen. Als die Schleusen geschlossen wurden, stieg der Wasserspiegel stündlich um ein paar Millimeter an. Am 19. April 1959 erreichte das Wasser das alte Forsthaus, welches als einziges Gebäude noch stand. Darin hatte sich der pensionierte Waldarbeiter Rudolf Todeschini verschanzt und weigerte sich, den Ort zu verlassen, so lange bis sein neues Zuhause in Fleck beziehbar sei. Als jedoch das Wasser am Sonntagnachmittag vor der Türe stand, wurde Todeschini unter Polizeischutz zwangsweise evakuiert. Am 20. April schaute vom Haus nur noch der Dachstuhl heraus. Danach erfolgte am 22. Mai 1959 die Sprengung des Forsthauses durch die Mittenwalder Pioniere.
Der letzte Gottesdienst in Alt-Fall
Schon 1957 waren die meisten Dorfbewohner umgezogen. Manchen fiel es besonders schwer, ihr „Sach’l“ für immer aufzugeben. Doch das neue Wirtshaus im Ort schien den Umsiedlern ein geselliger Treffpunkt zu werden. Auch die neue Schule mit Zentralheizung erwartete die etwa 30 künftigenSchüler. Forstmeister Alfons Böhm erinnert sich: „Wir haben damals positiv reagiert. Man sagte sich, jetzt kriegst du eine neue, gesunde und schöne Wohnung. Aber aus heutiger Sicht war das eine kurzsichtige Beurteilung. Aber auch die, die am meisten schimpften, sind als erste mit dem Badetuch unterm Arm rauf in die neuen Häuser, um dort endlich richtig baden zu können, was im alten Fall nicht recht einfach war. Der letzte Gottesdienst in der Fall war eine wehmütige Erinnerung. Da lebten schon alle in Neufall, kamen aber in das alte Fall zur Messe. Das war ergreifend.“ Die barocke Madonnenstatue aus dem alten Faller Marienkirchlein wurde in die 1958 neu gebaute Kirche überführt. Ein Lenggrieser Bauer soll die Marienfigur 1908 auf seinen Schultern zu Fuß von Kloster Maria Einsiedeln in der Schweiz in den Isarwinkel getragen haben. Der Kirchturm von Maria Königin besitzt drei Glocken. Sie verkünden im Tageslauf die gegenwärtige Stunde. Die kleinste von ihnen stammt aus dem alten Faller Kirchlein und wird nicht müde mit ihrem hellen Klang an den Untergang Alt-Falls zu erinnern.
Restflößerei
Auch nach dem Bau des Sylvensteinspeichers verblieb eine sogenannte „Restflößerei“ unterhalb von Bad Tölz erhalten. Zunächst nur gelegentlich, wenn die Isar gerade den entsprechenden Wasserstand zeigte, konnten beim heutigen Tölzer Stausee die Passagierflöße abfahren. Floßmeister Nikolaus Willibald aus Arzbach besaß noch das Wasserrecht zur Floßfahrt auf der Isar und die ehemaligen Flößer ließen sich gerne bei Bedarf von ihm verpflichten. „Diese Fahrten erfreuen sich in jüngster Zeit immer größerer Beliebtheit“, hält das Protokollbuch des Flößerei-Interessenten-Verbandes Isar-Loisachtal fest. Um bessere Fahrtbedingungen auf dem Wasser und die Sicherheit der Fahrgäste zu gewährleisten, setzte sich der ehemalige Floßmeister und Lenggrieser Altbürgermeister Franz Xaver Taubenberger federführend bei den zuständigen Behörden ein. Gemeinsam mit dem Holzhändler und Floßmeister Nikolaus Willibald sowie den beiden Floßmeistern von der Loisach, Sebastian und Franz Seitner, wurden Vorschläge zur Bewältigung der für die Floßfahrt kritischen Stellen erarbeitet. 1968 übernahm Floßmeister Sebastian Angermeier aus Schlegldorf die Wasserrechte von Nikolaus Willibald.
Wissenswertes:
Als sich zur Olympiade 1972 in München die Anfragen nach Ausflugsfloßfahrten häuften, fuhr Floßmeister Sebastian Angermeier erstmals unter eigenem Namen. Mit Sohn Michael, der heute den Betrieb leitet, wurde die Abfahrtsstelle von unterhalb Tölz weiter isarabwärts in die Pupplinger Au, bei der heutigen Marienbrücke, verlegt. Zum einen sichert hier der oberhalb einmündende Loisach-Isar-Kanal die erforderliche Wassermenge. Zum anderen sind es bis München nur noch 25 Flusskilometer. Eine ideale Distanz für Gäste, die nach der Floßfahrt noch weitere Verpflichtungen haben. – Das 50jährige Jubiläum der Olympischen Spiele 2022 und die darin integrierten European Championships, boten den traditionellen Isarflößern eine besondere Ehre. Mit einem Floß auf dem Olympiasee durften sie alle Medaillengewinner zur Siegerehrung befördern.
Text. All copyrights Helga Lauterbach
Von der Autorin Helga Lauterbach erschienen bisher:
* Von Floßmeistern und Flößerbräuchen. Geschichte und religiöses Brauchtum der Isar- und Loisachflößer, 1992, Wewel Verlag
* Unterwegs mit den Flößern, 1994, Thiem Verlag
* Flößerei und Holztrift in München, 2010, Schiermeier Verlag
* Passagierfloßfahrten auf Isar und Loisach als Immaterielles Kulturerbe, 2021, Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V. Schönere Heimat, Heft 2
* Floßmeister und Flößerbräuche, Tradition und Geschichte an der Isar und Loisach, 2021, Schnell + Steiner Verlag
* Spaziergang zu den Münchner Floßländen, 2022, Deutsche Flößerei Vereinigung, Mitteilungsheft 29-2022
Titelbild: Der leere Slyvensteinspeicher macht die Reste von Alt-Fall sichtbar, Aufnahme 2015 von Jost Gudelius, Wikimedia Commons