Dass Franz X. Speer die Obere Isar wie seine Westentasche kennt, kann man ohne Übertreibung schreiben. Er gründete 1974 den Verein „Rettet die Isar“ und setzt sich seitdem dafür ein, dass die Obere Isar ihren Charakter als Wildfluss behalten kann. Zeit für ein Interview mit ihm.
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Die steigenden Temperaturen verursachen zunehmend Extrem-Wetter mit Starkregen und extrem langen Zeiten ohne Regen. In einem Binnenland wie Bayern sind Flüsse unentbehrliche Lebensadern. Eigentlich müsste zu den Vorsorgemaßnahmen gegen den Klimawandel nicht nur der Bau von Dämmen gegen Überschwemmungen gehören, sondern auch, dass wir alles daransetzen, um die bayerischen Flüsse vor Wassermangel und dem Austrocknen zu bewahren?
Speer
Die Isar wird, zumindest was die Restwasserstrecken betrifft, sicher darunter leiden, insbesondere die Fische. Es handelt sich um die Forellen-Äschen-Region; diese Arten sind auf kühle Gewässer angewiesen. Genauere Informationen kann Ihnen der Bayerische Fischereiverband mitteilen. Außerdem werden diese Flussabschnitte sehr stark veralgen und es werden sich Wasserpflanzen ansiedeln. Dabei ist nur zu hoffen, dass bettbildende Hochwasser diesen Bewuchs wieder entfernen. Nachdem mit der Klimaerwärmung auch Starkregen und heftige Gewitterzellen zu erwarten sind, wird auch die Isar davon „profitieren“.
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In Verbindung mit Flüssen siedeln sich besondere Pflanzen an den Flussufern an, die den feuchten Grund brauchen. Sie bilden eine ganz spezielle Landschaft, die Flussaue. Warum ist es sinnvoll, gerade in der Klimakrise Flussauen zu erhalten?
Speer
Zuerst muss man den Begriff „Auen“ definieren. Es gibt sehr verschiedene Auen. An der nicht beeinflussten Isar gab es Flussauen mit riesigen Schotterbänken. Darauf wuchsen kleinräumig Tamarisken, Weiden, Erlen usw., die in dieser „Chaos-Landschaft“ des Wildflusses immer wieder zurückgeworfen wurden. Ganz anders heute, die vielfältigen Eingriffe (Verbauungen, Querbauten usw.) führten dazu, dass die Überschwemmungsbereiche stark reduziert werden. Die Sukzession dominiert, d.h. der Bewuchs, und die Schotterflächen werden immer weniger. Dann gibt es an der Isar im Unterlauf Auen mit dichtem Auwäldern, i. d. Regel Bäume, die immer wiederkehrende Überschwemmungen tolerieren. Sowohl die großräumigen Schotterflächen als auch die Auwälder sind wichtige Retentionsflächen, d.h. Flächen die Hochwasser bremsen bzw. sogar zurückhalten können. Sie sind im Hinblick auf die zu erwartenden Starkregen sehr wichtig.
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Das Gebiet der Oberen Isar wurde in fünf Abschnitten, vom Krüner Wehr bis Bad Tölz untersucht Demnach ist das Flussgebiet um das Krüner Wehr immer noch naturnah und hat das größte Potential für eine Renaturierung*). Am Krüner Wehr werden bisher 2/3 des Isarwassers abgeleitet, für das Walchensee-Kraftwerk. Wie viel mehr Wasser müsste man der Isar lassen, damit sie in der Klimakrise nicht vollkommen verkümmert?
Speer
Ich habe meine Diplomarbeit zwischen Lenggries und Bad Tölz gemacht, deshalb kenne ich die Probleme zwischen Krüner Wehr und Lenggries ziemlich gut.**) Bearbeitet wurden diese Bereiche von Felix Mayer und Isabell Becker unter Leitung von Gregory Egger*). Da die Konzession für das Walchensee-Kraftwerk-System 2030 nach über 100 Jahren ausläuft, hoffen wir, dass mit der neuen Konzession andere Abflussverhältnisse geschaffen werden, d. h. viele der abgeleiteten Zuflüsse der Isar müssen überhaupt erst wieder Wasser bekommen, besonders der Rißbach, größter Zufluss in den Alpen. Außerdem muss der Abfluss am Krüner Wehr, bisher 4,8 m³/s im Sommerhalbjahr und 3,0 m³/s im Winterhalbjahr, verbessert werden. Vor 1990, hatte die Isar zwischen Krüner Wehr und Sylvensteinspeicher an über 240 Tagen im Jahr überhaupt keinen Abfluss. Nur bei bettbildendem Hochwasser, also wenn genügend Steine mit geführt wurden, hat man das Krüner Wehr geöffnet. Dann lief das gesamte Wasser im natürlichen Flussbett ab.
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1990 hat Ihr Verein erreicht, dass der Isar am Krüner Wehr wenigstens 1/3 Restwasser bleiben.
Speer
Das Restwasser 1990 konnte die „Notgemeinschaft Rettet die Isar jetzt“ (https://www.rettet-die-isar.de/) von den Bayernwerken nur erreichen, weil sich das Walchensee-Kraftwerk noch im Besitz der Freistaates befand und der Landtag diesem Abfluss zustimmte.
memo
Der heutige Betreiber des Walchenseekraftwerks ist die in finanzielle Turbulenzen geratene Firma Uniper. Das börsennotierte Energie-Unternehmen gehört zu den größten Stromerzeugern in Deutschland und wird nun mit einem Rettungspaket der Bundesregierung vor der Pleite bewahrt. Das Walchensee-Kraftwerk betreffend laufen die Verträge mit Uniper 2030 aus. Über neue Vertragsbedingungen will die Bayerische Staatsregierung bis 2027 entscheiden. Was muss sich am Krüner Wehr sonst noch ändern, damit eine wirkungsvolle Renaturierung dieses Isar-Abschnitts noch möglich ist?
Speer
Das Beste wäre, wenn der Besitz des Walchensee-Kraftwerk-Systems von hiesigen Organisationen, z.B. den Stadtwerken München, Bad Tölz, Garmisch-Partenkirchen u.a.m. übernommen wird. Im Übrigen, die haben ihr Interesse schon bekundet. An Uniper hält zur Zeit der finnische Konzern Fortum 80 % der Anteile. Ich kann mir nicht vorstellen, das man im Finnland viel Wert auf die Isar legt.
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Titelbild: Grafik von Franz X. Speer, copyright: Franz X. Speer
Der Verein „Rettet die Isar“ setzt sich seit den 70er Jahren dafür ein, dass die Isar mehr Wasser führen kann und für alle Ableitungen vom Walchensee bis zum Sylvenstein mehr Restwassermengen festgeschrieben werden.
https://www.rettet-die-isar.de/
*) Isabell Becker, Gregory Egger, Felix Maier, Die Obere Isar – eine verlorene Wildflusslandschaft? Eingriffe und deren Auswirkungen sowie Renaturierungspotenziale der Oberen Isar vom Krüner Wehr bis Bad Tölz, 2022
**) Franz X. Speer, „Das Problemgebiet Obere Isar“, 1977, Lehrstuhl für Landschaftsökologie, Technische Universität München-Weihenstephan