Bei einer Antwort auf diese Frage befasst man sich mit ungeheuren Zeitspannen von Millionen von Jahren und stellt staunend fest, wie viel Raum für Visionen sich damit auftut. In den nüchternen Wissenschaften der Geologie, der Geochronologie, der Paläontologie, und der paläontologischen Klimaforschung geht es um nicht weniger als Supernovas, Meteoriten, Eiszeiten und natürlich – den Menschen.
Es ist normal, wenn eine Art ausstirbt.
99 % aller Arten sterben grundsätzlich irgendwann einmal aus, im Laufe von Millionen von Jahren. Dafür entstehen immer wieder neue. Weil nichts auf dieser Erde gleich bleibt, sondern dem Prozess der Veränderung unterworfen ist, den wir Evolution nennen. Die Wissenschaft spricht dabei von einem „Hintergrundaussterben“.
Ausgehend von Fossilien schätzt man beispielsweise die Lebenserwartung von einer Säugetierart auf durchschnittlich 10 Millionen Jahre. Dann ist die Art entweder ganz verdrängt oder in eine andere Art übergegangen. Dann wurde zum Beispiel aus dem Flugdinosaurier der Vogel. Unsere Abbildung zeigt eine Art zwischen den beiden, die Rekonstruktion des Anchiornis huxleyi, der vor 155 Mio Jahren auf riesigen Bäumen der Wälder im Norden Chinas lebte.
Es ist nicht normal, wenn viele Arten gleichzeitig aussterben.
Zu dem natürlichen Aussterben von Arten kommt das Phänomen des Massenaussterbens, bei dem eine große Anzahl verschiedener Ordnungen der Lebewesen gleichzeitig verschwindet. Wobei „gleichzeitig“ eine Zeitspanne von mehreren Zehntausend bis Hunderttausend Jahren bedeutet. In den letzten 2,4 Milliarden Jahren der Geschichte der Erde gab es zum Ende einer Zeitphase fast immer ein massenhaftes Artensterben, das einen Wechsel der Flora und Fauna zur Folge hatte. Die Einschnitte waren so gravierend, dass die Paläontologen danach die Zeitalter bestimmten.
In unserer Gegenwart ist das Thema hoch aktuell, weil wir mit einem Verlust von Flora und Fauna konfrontiert werden, in dem pro Stunde drei Arten aussterben. Die natürliche Aussterberate wären drei Arten pro Jahr. Nach der Weltnaturschutzunion (IUCN) liegt die gegenwärtige Aussterberate um das 1.000 bis 10.000-fache über der natürlichen Hintergrundaussterberate.
Dabei wird der Begriff Massenaussterben (engl. mass extinction) nicht einheitlich angewandt. Einige Wissenschaftler verwenden ihn nur, wenn sie von einer Aussterberate von über 75 % ausgehen. Anhand dieser Definition liest man in der Literatur häufig die griffige Formulierung von den „Big-Five“ des Massenaussterbens in der Erdgeschichte.*)
Das ist für das Referieren der Abläufe der Evolution einfacher und kürzer. Allerdings ist bereits ein Aussterben von 50 % aller Arten ein ungeheurer Einschnitt in die Biodiversität, der den Planeten Erde komplett verändert. Von diesem Standpunkt aus gab es mehr als fünf große erdgeschichtliche Phasen des Massenaussterbens.**)
Die Blaualge revolutioniert die Erde.
Ein kleines blaues Ding, das so winzig ist, dass man es nur unter dem Mikroskop erkennen kann, löste zur Erdfrühzeit eine Katastrophe aus, während des Proterozoikums vor ca. 2,4 Milliarden.Jahren. Die Vorläufer der Cyanobakterien (Blaualgen) nutzten das Sonnenlicht zur Photosynthese und setzten als Abfallprodukt Sauerstoff frei. Die massenhafte Verbreitung der Bakterie führte zu der entscheidenden Veränderung, die die gesamte Entwicklung der Erde beeinflusste. Die sauerstofflose Atmosphäre wandelte sich in eine sauerstoffhaltige Atmosphäre, die fast alle aneroben Lebewesen verschwinden ließ. Diese Lebewesen, die für ihren Stoffwechsel keinen Sauerstoff verwenden, wurden durch den erhöhten Sauerstoffgehalt abgetötet, deshalb nennt man die Phase „Sauerstoffkatastrophe“.
Die Kontinentalverschiebungen wandeln das Antlitz des Globus.
Am Ende des Kambriums, vor ca. 485 Mio Jahren, führten riesige Kontinentalverschiebungen zu einem Klimawandel und zu Schwankungen des Meeresspiegels, durch den 80 % aller Tier- und Pflanzenarten ausstarben.
Im Teil II geht es um die Verdunkelung der Erde, das Kellwasser-Ereignis und die Grande Coupure. Kein Schriftsteller könnte in seinen Fiktionen Ereignisse erfinden, wie sie im Laufe der Evolution tatsächlich stattfanden.
Anmerkung *)
Die Big Five des Massenaussterbens von Arten ereigneten sich demnach:
1) Vor ca. 440 – 445 Mio Jahre – Zeitalter Ende Ordovicium
2) Vor ca. 360 – 377 Mio Jahre – Zeitalter spätes Devon
3) Vor ca. 240 – 252 Mio Jahren – Übergang Zeitalter Perm/Trias
4) Vor ca. 200 Mio Jahren – Ende Zeitalter Trias
5) Vor 66 Mio Jahren – Übergang Zeitalter Kreide/Tertiär
Anmerkung **)
Etwas verwirrend sind auch die Unterschiede in den Zeitspannen, die in der Literatur durchaus um ein paar Millionen Jahre schwanken. Nicht einheitlich sind ebenso die Prozentangaben bei den Aussterberaten. Die Frage ist, auf welcher Basis sich die Prozentangaben errechnen. Wir wissen noch nicht einmal für die Gegenwart, wie viele Arten es insgesamt gibt. Von einigen Zeitaltern haben sich im Vergleich dazu nur sehr spärliche Fossilienfunde erhalten. Inwieweit lässt sich auf diesem Fundament eine Gesamtanzahl der damaligen Arten hochrechnen und eine darauf basierende Aussterberate? Wenn man einen Artikel wie diesen verfasst, wird man deshalb keine allgemein gültige Wahrheit finden, sondern muss sich entscheiden, auf welche Literatur man sich letztendlich bezieht. Wir haben uns gegen die Big Five und für die Orientierung an den deutschsprachigen Artikel bei Wikipedia.de entschieden, der zeitnah im April 2015 veröffentlicht wurde.